Die Hollandgänger

Im 18. Jahrhundert kam die Hollandgängerei der Heuerleute und landwirtschaftlichen Arbeiter auf. Sie setzte sich fort im 19. Jahrhundert. Das Verdienst für die Heuerleute im Lande war gering, so daß es oft nicht zum Aufbringen der Heuer reichte. In Holland brauchte man Zeitarbeiter für das Mähen der Wiesen und für den Torfstich. Die Verdienstmöglichkeit lockte viele auch aus unserer Grafschaft dorthin. Fürs Torfstechen zog man bereits April / Mai fort. Es war die schwerste Arbeit, die auch am höchsten bezahlt wurde. Die Torfstecher, die in schlechten Hüften im Moor selbst lebten, mußten sich selbst beköstigen und nahmen die Räucherwaren in ihrem Sack mit. Nicht wenige haben sich dabei Fieber und dauernden Schaden geholt. Um Peter und Paul brachen die Mäher auf, die neben anderem ihre Sense ohne Baum mitnahmen. Sie erhielten die Kost bei ihrem "Baas". Die Unterkunft für sie war sehr mangelhaft, sie schliefen in Scheunen. Am Sonntag nach der Kirche wurde von den Hollandgängern der gemeinsame Aufbruch vereinbart. Es bestanden feste Hollandgängerwege, die immer wieder benutzt wurden. Ein so bezeichneter Weg führte mitten durch die Tannen südlich Suderwehe an der Teufelsküche vorbei nach Espel zu. Früher trug jeder seinen schweren Sack mit Arbeitskleidung, Gerät und Proviant für viele Woche auf der Schulter. Eist vom Sammelplatz in Lingen wurden sie auf Wagen nachgeführt. Nachher geschah das bereits von hier aus. So groß war dieser Wandertrieb, daß in einzelnen Jahren 20-25.000 Hollandgänger Lingen passiert haben sollen.


Quelle: s.u.

Mittagspause der Grasmäher 1768


Den zurückbleibenden Frauen lag es ob, die Frühjahrsarbeit bis zur Ernte ohne den Mann zu verrichten, dazu war die Wiemel recht leer. Es kam wohl viel Geld durch die Hollandgängerei ins Land zurück, wenn die Verdiener sparsam waren, Geld zum Bezahlen der Heuer, der Schulden oder zum Hochzeitsschatz, - aber das waren nicht alle. Bei der Feier der Rückkehr ließ man gern gleich etwas springen.
Um 1800 suchte die Regierung durch Aussetzen von Prämien die Hollandgängerei einzuschränken, ohne jedoch Erfolg damit zu haben. Sie sah auch die schädlichen Folgen, daß viele den Anstrengungen, die diese Saisonarbeit an den Körper stellte, nicht gewachsen waren und krank heimkehrten oder gar starben. Denn die Arbeitszeit war lang, das Grasmähen erfolgte im Takt bis zur Erschöpfung. Der Aufenthalt im Moor im Frühjahr bei schlechter Kost - manche vertrugen gar nicht das ständige Speckessen - verbunden mit einem Lager auf Torf in zugiger Baracke war geradezu gesundheitsschädlich. Im Sterberegister befindet sich öfter die Notiz "in Holland verstorben", auch "ertrunken", oder "krank von Holland gekommen und hier gestorben auf der Rückreise". Leichtfertige suchten auch dort das freie Leben und kamen verdorben zurück. Nach 1870, als es im Lande besseren Verdienst gab und große öffentliche Bauten durchgeführt wurden, hörte die Hollandgängerei auf.
Die Saisonarbeiter kehrten bei Beginn der Roggenernte zurück. Doch gingen auch Knechte und Mägde, sogar kaufmännische Lehrlinge für längere Zeit nach Holland zum Verdienst und in die Lehre. Starb dort jemand von diesen, so wurden sie hier angegeben und verläutet. Mit der Poesie dieser großen jährlichen Wanderung wird es nicht weit her gewesen sein. Sauer verdientes Geld wurde dort gestohlen, und die Rückkehrenden sollen bei Teufelsküche noch beraubt worden sein.

Der Amtmann Petri zu Lengerich berichtet darüber am 1. Sept. 1802 an die Regierung: "Es ist über das Hollandgehen seit vielen Jahren sehr viel gesprochen und geschrieben, jedoch nach meiner ganzen Kenntnis halte ich dafür, daß sich solches teils durch die vorgeschlagenen Prämien gar nicht wird vermindern lassen, teils auf dessen gänzliche Abstellung, wenn sie auf einmal möglich wäre, die totale Verarmung wenigstens der Niedergrafschaft Lingen nach sich führen müßte.
Denn woher sollte das viele Geld kommen, was die Provinz jährlich aufbringt, wenn es nicht größtenteils aus Holland geholt würde ? Allein das Amt Lengerich erträgt jährlich an die 30.000 Gulden Staatsabgaben und an Privatgutsherren und Geistliche gewiß auch noch über 10.000 Gulden. Dies macht bei einer Bevölkerung von etwa 4.500 Menschen an die 5 Thaler auf jeden Kopf und von all diesem Gelde bleiben keine 5000 Gulden in der Provinz, so daß binnen 30 Jahren bloß aus dem Innern des Amtes Lengerich über eine Million Gulden bares Geld aus dem Lande gegangen sind.

Wie wäre es nun in einem von der Natur äußerst stiefmütterlich versorgten Lande, dessen größter Flächeninhalt aus wüstem Sand und Heidefeldern besteht, das keine Produkte zu Fabriken oder Manufakturen liefert und auch nicht zum Handel bequem liegt, möglich, durch inländische Industrie einen solchen großen jährlichen Geldausfluß zu ersetzen? Und was sollen wohl die Heuerleute, kleinen Bauern, Handwerker, Bauernjungs und -mädchen des Amtes Lengerich zu Hause anfangen können, um die 25.000 Gulden bares Geld jährlich zu übersparen?

Dieses Problem wird man nicht ohne weiteres lösen können, denn es ist sicher, daß aus Holland über 25.000 Gulden jährlich in das Amt Lengerich gebracht werden. Wir haben an 300 Heuerleute-Familien und von diesen nebst den kleinen Bauern, Handwerkern als Zimmerkute, Schneider, Schuster und Schmiede, ferner Bauernjungens und -mädchen gehen an die 500 Personen jährlich nach Holland und bleiben von 6 Wochen bis ½ ja ¾ Jahr dort. Unter 30-50 Gulden verdient fast keiner, die meisten über 50 Gulden, ja viele 60, 70, 90 bis 100 Gulden und noch mehr, so daß man den Mittelverdienst zu 50 Gulden auf 500 Personen annehmen kann, welches 25.000 Gulden ausmacht.

Der Heuermann verdient in der Zeit von Ostern bis Jakobi, wo er zu Hause doch nichts zu tun hat, so viel, daß er seinem Bauern die Heuer bezahlen kann und der kleine Bauer bleibt in der nämlichen Periode dort und kommt in der Zeit seiner eigenen Ernte mit einem Verdienst zurück, woraus er die landesherrlichen Abgaben berichtigt und sich noch etwas auf den Winter erspart Der Handwerker bleibt solange dort, als er Arbeit findet und verdient oft in einer Woche mehr wie hier in einem Monat. Auch die Bauern- jungens und -mädchen, die gewöhnlich bis zum Herbst ausbleiben, verdienen gutes Geld, womit sie teils ihre hiesigen Eltern und Geschwister unterstützen, teils sich einen Brautschatz für ihren künftigen Hausstand ersparen.

Die Provinz ist von Natur aus zu arm, als daß sie ohne auswärtigen Verdienst bestehen könnte und der geringste Verdienst in Holland kann keine so großen Nachteile haben, weil sich das Land seit Jahren schon sehr gut befindet. Ich will hiermit keineswegs behaupten, daß man die inländische Industrie und deren Aufhelfung vernachlässigen müßte, allein man braucht auf die Verminderung des Hollandgehens keine besonderen Prämien aussetzen, da derjenige, der sich im Lande ehrlich zu nähren weiß, gewiß nicht zur sauren Arbeit nach Holland geht.

Die Vermehrung der inländischen Kulturen durch Markenteilung und Ansiedlung von Neubauern ist das beste Mittel zur Festhaltung der Eingeborenen und so wie hierdurch die inländische Produktion und der Wohlstand zunehmen wird, so wird auch dadurch das Hollandgehen sich von selbst vermindern".

Nach Pastor Meyer



Quelle:
Lengericher Geschichte(n), Nr. 2, Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1996, S. 2-3



Quelle: s.u.

Quelle:
Lingener Tagespost vom 20.05.1999

Quelle: www.heimatarchiv.de zurück